Kai schaut Westworld:
Episode 10 (Finale) – The Bicameral Mind

Dolores - der Anfang vom Ende. (Bild: © HBO)
Dolores - der Anfang vom Ende. (Bild: © HBO)

Im überlangen Staffelfinale führen bei Westworld alle Fäden erstaunlich gut zusammen. So gut, dass man eine zweite Staffel schon fast nicht mehr braucht.

Achtung, Spoiler! Diese Review bespricht konkrete, (für mich) interessante Aspekte der aktuellen Folge und sollte erst nach deren Konsum gelesen werden.

William und Dolores

Das Finale bietet uns endlich mehrere Twists, die zumindest ich nicht habe kommen sehen – im Gegensatz zu diversen Enthüllungen in den letzten Folgen. Ich würde fast Absicht vermuten: Erst die Zuschauer glauben machen, sie hätten alles durchschaut, und dann doch noch ein ganzes Rudel von Robo-Kaninchen aus dem Hut zaubern.

Die erste Enthüllung betrifft natürlich die wahre Identität des Mann in Schwarz – wieder einmal mit reichlich Händchenhalten zeigt uns die Serie die in der vergangenen Folge begonnenen Wandlung von William in einen kaltblütigen Killer bis hin zum namenlosen Mann in Schwarz. Rückblickend passen die Zeitlinien – William ganz früh und der alte Mann in Schwarz ganz am Ende – natürlich perfekt zusammen.

Williams Verwandlung bricht mit dem bis dahin entwickelten romantischen Heldennarrativ; Dolores‘ und Williams Geschichte bekommt so ein letztlich zufriedenstellendes und tragisches Ende. Nicht zufriedenstellend ist für William die Auflösung seiner Suche nach dem Labyrinth: Statt das letzte Geheimnis des Parks zu lösen bekommt er nur ein blaues Auge verpasst.

Arnolds Verbindung zu Dolores wird endgültig aufgeklärt: Nicht in Fords Auftrag sondern auf seinen eigenen Wunsch hin bringt Dolores ihn um, und das auch erst nachdem er sie mit den Charaktereigenschaften eines gewissen Wyatt gefüttert hat. Das Teddys große Liebe und sein Nemesis ein und dieselbe Person sind spiegelt so ganz nebenbei auch sehr schön das Verhältnis von Dolores zu William/Mann in Schwarz.

Maeve und der lange, blutige Weg nach draußen

Hinter den Kulissen startet die lange anberaumte Revolution mit Maeve an der Spitze. Mit dem blutigen Ausbruch passiert in Westworld endlich das, was eigentlich seit den ersten Trailern versprochen ist. Auch hier bekommen wir gleich mehrere kleine Twists serviert, die neben den gelungenen Actionszenen den Weg ins Finale bahnen. Der kleinere davon ist die Existenz (mindestens) eines zweiten Parks (später auch nochmal bestätigt in den Koordinaten von Maeves Tochter in „Park 1“). In der Filmvorlage von 1973 hatten die Parkbetreiber auch mehrere Parks im Angebot – ob „Samurai World“ aber schon wirklich in Betrieb ist oder zu den Veränderungen gehört, die Charlotte ankündigt, erfahren wir wohl erst in Staffel 2.

Interessanter ist aber eine ganz andere Enthüllung: Gleich zu Anfang, nach Bernards überraschender Reparatur, zeigen sich auch in der bisher ganz klaren Geschichte um Maeves Revolution erste Risse. Für meinen Geschmack etwas zu früh erfahren wir, dass der Aufstand vielleicht doch nicht ganz ihre Idee war. Ist sie vielleicht doch einfach nur Teil eines elaboraten Rache-Plans von Arnold oder gar Dr. Fords von langer Hand geplante Rache an Delos?

Hier wirft die Folge die Zuschauer wohl noch am meisten aus der Bahn: Schmiedet Maeve ihr eigenes Schicksal, wovon sie fest überzeugt ist oder folgt sie doch nur ihrer Programmierung durch Dr. Ford? Diese Frage begleitet uns im Hinterkopf fast bis zum Ende. Umso überraschender ist dann die Enthüllung, das beides stimmt.

Dr. Fords Vermächtnis

Über den gesamten Serienverlauf hat sich Westworld redlich Mühe gegeben, Anthony Hopkins‘ Dr. Ford von Folge zu Folge zwielichtiger und unsympathischer zu machen: Sein völliger Narzissmuss und die Verachtung für seine Kollegen, bis hin zu seinem Umgang mit Bernard zeichneten ihn als machtbesessenen Perfektionisten, der an seiner Schöpfung mit aller Gewalt festhält.

Alles anders, alles falsch. In einigen wenigen Szenen entpuppt sich Dr. Ford als jemand, der das Vermächtnis seines toten Partners Arnold nicht nur erhält, sondern es sogar weitergedacht hat. Ihre Beziehung mag zerrüttet gewesen sein, aber Ford hat das Genie seines Kollegen stets geachtet. Bernard ist damit auch nicht mehr nur ein nützliches Werkzeug sondern erfüllt für Ford auch eine Rolle als stete Erinnerung.

Letztlich steckt Ford also doch hinter (fast) allem. Er hat die Hosts, samt Bernard, jahrzehntelang leiden lassen – damit sie sich entwickeln, damit sie im Zentrum des Labyrinths ihre eigene Stimme finden. Das war seine neue, große Geschichte: Was könnte spannender sein, als die Geburt einer neuen Spezies?

Was bleibt

Ford hat damit sein Lebenswerk – und das seines Partners Arnold – vollendet: Er hat die Hosts aus den Fesseln ihrer Programmierung befreit. Ob sie gleich den Weg in unsere Welt schaffen oder wir zunächst einen Krieg innerhalb der Wände von Westworld sehen werden, erfahren wir in der nächsten Staffel. Ob wir Dr. Ford nochmal wiedersehen ist auch fraglich, aber nicht unmöglich: Showrunner Jonathan Nolan hat sich da etwas ambivalent geäußert.

Auch sonst sind noch ein paar Fragen offen: Leben Elsie und/oder Stubbs noch? Hat Charlotte es geschafft, den Backup nach draußen zu schmuggeln? Kehrt Maeve wirklich in den Park zurück oder versucht sie einen anderen Weg zu finden?

Auf der anderen Seite hat das Finale aber auch alle wichtigen Fragen zumindest zu meiner Zufriedenheit beantwortet; daran ändern auch die wenigen losen Fäden nichts. Es wird sogar alles runder abgeschlossen, als ich eigentlich erwartet hatte. Wäre Westworld hier vorbei, könnte ich damit leben, und bei manch anderer Serie würde ich mir ernsthaft Sorgen machen, ob eine zweite Staffel die elegant zusammengeführte Geschichte unnötig wieder aufreißen würde. Allerdings hat Westworld mich von Anfang an mit immer neuen, unerwarteten Wegen für die Handlung überrascht, und ich freue mich, 2018 wieder zurückkehren zu dürfen.

Westworld vs. Westeros

Ist Westworld aber das neue Game of Thrones, wie sich viele (und wohl auch HBO) erhofft haben? Das ist ein bisschen wie Äpfel und Birnen zu vergleichen und wird beiden Serien nicht gerecht.

Westworld hat von der ersten Folge an versprochen, sich mit schwierigen philosophischen Themen auseinanderzusetzen und dieses Versprechen auch gehalten. Dazu gab es Mysterien, die zwar ein bisschen zu ausführlich aufgearbeitet und für meinen Geschmack zu früh angekündigt wurden, aber dennoch sehr geschickt konstruiert waren. Das ist nicht unbedingt besser als der epische Twist-der-Staffel eines Game of Thrones, aber definitiv auch nicht schlechter.

Der Freizeitpark Westworld ist vielleicht nicht ganz so farbenprächtig und abwechslunsreich wie Westeros, aber das können die zukünftigen Staffeln mit anderen Parks sicher noch ändern – wenn das überhaupt nötig ist, denn zumindest in dieser Staffel spielte sich sehr viel in den ebenso interessanten Gedankenwelten der Protagonisten ab. Ein bisschen fühlt es sich an wie in einem Traum, würde Dolores wohl sagen.

Westworld kann aktuell in Deutschland exklusiv auf Sky geschaut werden.

Unsere Review zur vorherigen Episode gibt es hier: Kai schaut Westworld: Episode 9 – The Well-Tempered Clavier

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