Harry Potter und die ziemlich mäßige Fortsetzung

Coverillustration der Englischen Ausgabe (© 2016 Scholastic)
Coverillustration der Englischen Ausgabe (© 2016 Scholastic)

Unsere Autoren Alina Eickmanns und Kai Hilpisch haben sich das „Achte Buch“ der Harry-Potter-Reihe vorgenommen und versucht, da durchzusteigen. Heraus kam eine Pinnwand voller Plot, verknotetem roten Faden und viel Kopfschütteln über Harry Potter und das verwunschene Kind.

Harry Potter und die enttäuschende Fanfiction

Absurd. Schlechte Fanfiction. Enttäuschend. So oder ähnlich wird die Geschichte aus Harry Potter and the Cursed Child (dt. Harry Potter und das verwunschene Kind) in der Fangemeinde zusammengefasst. Dieses Theaterstück, welches in Skriptform Anfang August weltweit veröffentlicht wurde, handelt von Harry Potter und Familie und spielt 19 Jahre nach dem Ende der siebenteiligen bereits bekannten Bücherserie. Es wird bereits klar, dass selbst eine kurze Beschreibung der Geschichte ohne Spoiler nahezu unmöglich ist, denn hier wird so einiges ineinander- und zuweilen auch durcheinander geworfen. Dazu aber später mehr. Zunächst ein Versuch die Geschichte, so gut es geht, zusammenzufassen.

Ab hier leichte Spoiler über den Anfang der Geschichte. Große Spoiler sind extra markiert.

Wir befinden uns im Zaubereiministerium und beobachten einen erwachsenen, überarbeiteten Harry, Vater von drei Kindern und Ehemann von Ginny Weasley. Harry hat immer noch mit seiner Vergangenheit zu kämpfen und in der Zaubererwelt ist es keineswegs ruhig geblieben. Obwohl Voldemort lange besiegt ist, ringt Harry mit Alpträumen und anderen Schwierigkeiten, die das Harry-Potter-Sein mit sich bringt. Auch sein jüngster Sohn, Albus, bleibt nicht von den Folgen von Harrys Vergangenheit verschont und hat zunehmend Probleme damit. Albus ist in fast jeder Hinsicht anderes als sein Vater: Statt in Gryffindor ist er in Slytherin, er ist dem Besenfliegen nicht mächtig und entschloss sich eine Freundschaft zu Draco Malfoys Sohn Scorpius aufzubauen. Er verabscheut Hogwarts und kann nicht nachvollziehen, wie Harry sich dort jemals wohlfühlen konnte. Harry hingegen versteht nicht, wie sein Sohn, mit all seinen Privilegien, Hogwarts nicht als den tollsten Platz auf der Erde empfinden kann. Diese komplizierte Beziehung der beiden wird besonders auf die Probe gestellt, als die Vergangenheit bei den Potters an die Tür klopft.

Harry Potter und der entfremdete Sohn

Harry ist, das zeigt das Stück angenehm nüchtern, durch seinen Heldenstatus nicht automatisch  ein „guter“ Vater, und sein jüngster Sohn ist natürlich vollkommen anders als er und steckt mitten in der Pubertät. Da sind, wie die klischeévertrauten ZuschauerInnen wissen, Probleme vorprogrammiert, keine Frage. Erzählt wird dies im Anfangsteil des Stücks in kurzen, durchaus gefühlvollen Vignetten im Schnelldurchlauf, bis Albus und Scorpius das Teenageralter erreicht haben und Albus‘ Beziehung mit Harry völlig im Eimer ist.

Leider wird es ab Beginn der eigentlichen Handlung dann aber so abstrus, dass es kaum zu beschreiben ist. Im Gegensatz zu J.K. Rowlings Harry Potter Geschichten, die einem roten Faden folgen, der von interessanten Nebenhandlungen durchbrochen wird, besteht Das verwunschene Kind aus ganz vielen „was wäre wenn“ Momenten und Charakteren die irgendwie anders heißen, einem als Fan aber sehr bekannt vorkommen. So ist zum Beispiel Scorpius, Sohn von Möchtegern-Bösewicht-Draco und bester Freund von Albus, im Prinzip als männliche Hermine konstruiert. Noch dazu leidet der junge Herr Malfoy unter dem schlechten Ruf seiner Familie; so hält sich z.B. hartnäckig das Gerücht, er sei ein durch Zeitreisen entstandener Sproß Voldemorts selbst. Jawohl, es geht hier (auch) um Zeitreise-Sex im Potter-Universum.

Wie in Der Gefangene von Askaban geht es in Harry Potter 8 auch um Zeitreisen. (Quelle: © Warner)

(Wer die Story noch lesen will, kann hier den Spoilerbereich überspringen und zum Fazit weitergehen)

Spoiler

Albus‘ und Scorpius‘ verrückte Reise durch die Zeit

Nicht nur, dass Albus und Scorpius natürlich auch in die Vergangenheit reisen, sie machen dies auch noch aus arg konstruiert wirkenden Gründen: Amos Diggory hat immer noch nicht mit dem Tod seines Sohnes Cedric (in Band 4) abgeschlossen und macht Harry für alles verantwortlich. Also denkt sich Albus: „Ich mache das wieder gut, indem ich in die Vergangenheit reise, was kann wohl schiefgehen?!“

Hier stellt sich beim Lesen plötzlich ganz stark das Gefühl ein, irgendetwas verpasst zu haben. Warum zur Hölle setzt sich der völlig entfremdete Sohn Harrys jetzt plötzlich im Rahmen eines Himmelfahrtskommandos für seinen Vater ein? Gründe dafür hängen angedeutet in der Luft (es sich selbst/Harry „beweisen“, den Heldenstatus des Vaters beenden, Identifikation mit dem „genauso überflüssigen“ Cedric), werden aber nicht zufriedenstellend zuende gedacht. Aber gut, nehmen wir das so hin. Weiter im Text:

Überraschung, natürlich geht alles furchtbar schief. Was es bedeutet, in der Zeit zu reisen, wissen wir schließlich schon aus dem dritten Teil Harry Potter und der Gefangene von Azkaban. Wer ganz genau aufgepasst hat, weiß auch, dass die Zeitumkehrer nach Harry’s drittem Schuljahr vernichtet wurden. Alle. Irgendjemand hat sich aber einen neuen gebastelt, dieser wurde vom Zaubereiministerium beschlagnahmt und Zaubereiministerin Hermine hielt es für eine gute Idee diesen in ihrem Büro in einem Buch (!) zu verstecken. Hermine. Die klügste Hexe der Welt. Versteckt… ach wie auch immer.

Wie sollte es anders sein, richten Albus und Scorpius mit ihrer Zeitreiserei ziemlich viel Schaden an. An diesem Punkt wäre noch zu erwähnen, dass die beiden nicht alleine auf diese wunderbare Idee kamen. Delphi, die Nichte von Amos Diggory, unterstützt sie in ihrem Plan, kann aber aus Gründen nicht mit in die Vergangenheit reisen. Zu ihr aber später mehr. Albus und Scorpius reisen schließlich mithilfe des Zeitumkehrers in das Jahr des Trimagischen Turniers, zu dessen Ende Cedric tragischerweise von Wurmschwanz getötet wird. Ihr Plan: Sie wollen Cedric so stark demütigen, dass er freiwillig aus dem Turnier ausscheidet und somit nicht getötet werden kann. Wieder zurück in der Gegenwart  lernen sie schnell, dass ihr kleiner Eingriff zur Folge hat, dass Cedric sich erst Recht angestrengt hat und dennoch getötet wurde. Allerdings sind Hermine und Ron niemals ein Paar geworden und somit deren Kinder Rose (Scorpius‘ Angebetete) und Hugo nicht geboren worden. Außerdem ist Albus plötzlich in Gryffindor und viele andere Dinge sind leicht anders, als wir bereits kennen.

Um ihren Misserfolg wieder zurecht zu biegen entscheiden sich Albus und Scorpius, noch einmal in die Vergangenheit zu reisen um dieses Mal Cedric während der zweiten Aufgabe zu erniedrigen. Gesagt, getan. Doch danach kehrt nur Scorpius in die Gegenwart zurück – in eine Gegenwart, in der Harry tot ist und Voldemort die Zaubererwelt beherrscht. Ende des ersten Teiles.

Scorpius Malfoy und das dritte Magierreich

Zu Beginn des zweiten Teiles versucht Scorpius erst mal herauszufinden, was passiert ist. Anscheinend fühlte sich Cedric so sehr gedemütigt, dass er zu einem Todesser wurde und in der finalen Schlacht um Hogwarts Neville Longbottom tötete der eigentlich Nagini (Voldermorts Schlange) töten sollte, damit Harry Voldemort besiegen kann. Alles klar. (Nicht.)

In Hogwarts‘ Kellern werden also jetzt Schlammblüter gefoltert, es gibt einen Voldemort Tag, Potter ist ein Schimpfwort und Todesser töten wahllos irgendwelche Muggel – „just for fun“. Ähnlich wie Hermine in der originalen Geschichte findet Scorpius schnell heraus was passiert ist und wie er dies wieder umkehren kann. Er findet den noch lebenden Professor Snape, der mit Hermine und Ron im Untergrund gegen Voldemort arbeitet. Sie helfen Scorpius, den ersten Fehler zu korrigieren, indem sie mit ihm zur ersten Aufgabe des Trimagischen Turniers reisen und dort den Zauberspruch von Albus blockieren. Zurück in der Gegenwart schaffen sie es nicht in ihr Versteck zurück, sondern müssen sich Dementoren opfern, damit Scorpius den Fehler aus der zweiten Zeitreise mit Albus am See korrigieren kann. Selbstverständlich haben die Geschichts-Korrekturen seitens Scorpius konsequenzlos funktioniert und wir landen wieder in der „richtigen“ Gegenwart. Uff.

Es folgt aber noch der Showdown, nachdem sich Delphi als Tochter von Voldemort und Bellatrix Lestrange entpuppt (wann hatten die denn DAFÜR Zeit?), sich den Zeitumkehrer schnappt und zum „Ground Zero“ der Potter-Saga zurückkehrt: Die Nacht, in der Harrys Eltern starben. Sie will ihren Vater warnen, die Geschichte umschreiben, und wird natürlich von den Helden, diesmal samt Eltern, überlistet. Zur Belohnung darf Harry den Tod seiner Eltern nochmal live miterleben. Ein bisschen Versöhnungs-Epilog, dann Vorhang.

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Harry Potter und der Schlussteil des Reviews

Es ist ja nicht so, dass die verdruselte Geschichte keine guten Passagen hätte. Das ganze Vater-Sohn Beziehungsdrama zwischen Harry und Albus ist eigentlich ganz nett, und einige Gastauftritte von bekannten Figuren sind durchaus gelungen. Den Twist gegen Ende sieht man zwar Meilenweit kommen, er rehabilitiert aber zumindest ein paar seltsam anmutende Szenen an anderer Stelle. Ein paar Stellen entwickeln auch einen Hauch von Gänsehaut – andere lassen schmunzeln, viele leider nur den Kopf schütteln.

Irgendwie ist das dann aber alles doch zu flach: Während die Handlung im Tamtam einer elaboraten Bühnenshow (die Regieanweisungen lassen es erahnen) sicherlich ausreichend ist, fehlt es ihr nüchtern betrachtet einfach an Tiefgang. Das komplizierte Zusammenhänge der Magierwelt (ein wesentlicher Quell des Charms der Reihe) hier anders als im „normalen“ Buchformat nicht so ausführlich sind und oft einfach ohne weitere Erklärung reingeschleudert werden wollen wir angesichts des Theaterformats nicht so eng sehen. Aber: Die Verknüpfungen mit der bekannten Geschichte wirken gezwungen, Figuren verhalten sich seltsam bis völlig irrational und dann passiert nach einem sehr ruhigen ersten Akt in der zweiten Hälfte auf einmal so viel, dass man daraus noch einen dritten Akt hätte basteln können. Die Handlung lässt die typische „Potter-Struktur“ erkennen, die aber hier mangels gut ausgebauter Nebenhandlungen einfach nicht so recht zünden will.

Es ist zwar lobenswert, dass Rowling & Co. die Geschichte der bis ins nächste Jahrzehnt ausverkauften Bühnenshow so auch einem breiteren Publikum zugänglich machen, aber wir hoffen dann doch auf eine weiter ausgebaute Prosa-Langfassung oder gleich einen Film. Fans können/müssen zugreifen, dürfen aber nicht ein „Achtes Buch“ erwarten. Magie wie damals ist das jedenfalls nicht.

Das Skript zum Theaterstück Harry Potter und das verwunschene Kind ist seit dem 24. September auch auf deutsch erhältlich. Herausgeber ist der Carlsen-Verlag.

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