Mit einem lauten Krachen fällt der morsche Baum neben mir in sich zusammen, als ich mich auf den Felsvorsprung hochziehe. Das zweibeinige Etwas mit einer rüsselartigen Schnauze ist davon unbeeindruckt, obwohl es nur ein Dutzend Meter entfernt von mir grast. Ich beobachte meine Beute, die ich schon aus der Ferne gewittert habe. Ich ducke mich und schleiche mich noch näher heran, glücklicherweise schaut es nicht in meine Richtung. Gleich bin ich nahe genug, nur noch wenige Schritte…
Mit einem Donnern rast ein riesiges Ungetüm aus Metall über mich hinweg, lässt mich alle Vorsicht vergessen. Meine Beute sieht mich und springt davon – ich werde sie noch früh genug einholen. Zunächst beobachte ich aber, was da an mir vorbei gerast ist: Über dem Zentrum der überwucherten Ruinen der Fremden schwebt es und aus seinem Rumpf fallen vier winzige Punkte hinab. Auch, wenn ich sie aus der Ferne kaum erkennen kann, weiß ich: Es sind Jäger.
Das Team um die Entwickler der Mehrspieler-Zombiehatz Left4Dead legt mit Evolve einen neuen Titel vor, der endlich mal wieder etwas Neues sein soll. Die Besonderheit: Das asymmetrische Gameplay lässt einen einzelnen Spieler als Monster gegen vier Jäger antreten, die sich in verschiedenen Spielmodi durch das Unterholz der SciFi-Welt Shear ballern.
Der Spielablauf im zentralen Hunt-Modus ist grundsätzlich immer der Gleiche:
Mit ein wenig Vorsprung darf das Monster zuerst los rennen und auf der weitläufigen Karte nach Nahrung suchen. Diese Nahrung besteht aus Landtieren verschiedenster Art, die meist mit wenigen Hieben niedergestreckt und anschließend verputzt werden können. Jeder Bissen bringt dem Monster nicht nur mehr Verteidigung in Form von einer steigenden Rüstungsanzeige sondern führt irgendwann dazu, das eine Weiterentwicklung möglich ist – die namenstiftende Evolution.
Währenddessen sind auch die vier Jäger gelandet und suchen, mit Jetpacks auf dem Rücken, die Landschaft nach ihrer Beute ab. Dabei stoßen Sie auch auf Widerstand durch die Umwelt: Was für das Monster ein kleiner „Happen“ ist, kann den Jägern durchaus gefährlich werden – von fleischfressenden Pflanzen ganz zu schweigen. Irgendwann kommt es dann unweigerlich zum Zusammenstoß. Schaffen die Jäger es, das Monster zu besiegen, haben sie gewonnen. Werden sie alle ausgeschaltet, gewinnt das Monster. Manchmal entkommt das Monster auch zunächst und kann später, gestärkt, erneut zuschlagen.
Soweit, so einfach. Wie bei den meisten eleganten Spielmechaniken ist es gerade diese simple, einprägsame Spielstruktur, die den Einstieg in Evolve erleichtert und für einen kurzweiligen Ablauf sorgt. Man merkt den Entwicklern an, dass sie mit Left4Dead bereits umfangreiche Erfahrungen mit (kooperativem) Multiplayer-Spieldesign gemacht haben: Um die Kernidee auszutarieren sind einige geschickt gewählte Mechaniken mit eingeflossen, die das Ganze abrunden. So kann das Monster nach Erreichen von Stufe 3 außer durch die Vernichtung der Jäger auch eine zentral auf der Karte platzierte Maschine zerstören, um zu gewinnen – damit wird jede Spielrunde effizient auf ein Finale hin gesteuert und ein endloses, langweiliges Katz-und-Maus Spiel vermieden. Die Jäger sind sowieso angehalten, das Monster so früh wie möglich zu finden: Ist das Monster auf Stufe 1 noch vergleichsweise schwach sind die Verhältnisse bereits auf Stufe 2 ausgeglichen. Erreicht das Monster Stufe 3 streckt es die meisten Jäger mit nur wenigen Hieben nieder.
Für Abwechslung sorgt die große Auswahl an Figuren und Fähigkeiten: Neben (bis jetzt) drei sehr unterschiedlichen Monstern gibt es auf Seiten der Jäger vier unterschiedliche Charakterklassen: Assault, Support, Medic und Trapper. Während die ersten drei Klassen im Kern schon aus vielen Rollenspielen und klassenbasierten Team-Shootern bekannt sein dürften, ist besonders der Trapper wichtig, da er (oder sie) das Monster nicht nur durch verschiedene Tricks (einschließlich Spürhund bzw. Spüralien) aufspüren kann sondern das Biest auch als Spezialfähigkeit für einen kurzen Zeitraum in einem geschlossenen Areal einzusperren vermag. Alle Klassen sind gut aufeinander abgestimmt und innerhalb jeder Kategorie gibt es drei verschiedene Figuren zur Auswahl, die stark unterschiedliche Schwerpunkte bei ihren Fähigkeiten zeigen und sich damit angenehm unterschiedlich spielen.
Evolve zeigt mit seinem zentralen Gameplay, wie ein modernes Multiplayerspiel aussehen kann, ohne dabei auf klassiche Deathmatch oder Team-vs-Team Szenarien zurückgreifen zu müssen. Zu keinem Zeitpunkt fühlen sich Jäger oder Monster übermäßig im Vor- oder Nachteil, was gerade angesichts der Asymmetrie eine beachtliche Gamedesign-Leistung ist. Da fällt auch nicht weiter ins Gewicht, das die anderen Spielmodi neben dem Hunt-Modus letzlich nur Varianten des selben Kerns sind – das Einsammeln von computergesteuerten „Überlebenden“ oder die Zerstörung von Monster-Eiern bringen aber duchaus ein wenig Abwechslung in den Jagdalltag.
Einzig störend ist neben den zwar detaillierten aber etwas eintönigen Karten vielleicht, dass auch Evolve der allgegenwärtigen „Freischalteritis“ Rechnung tragen muss: Statt von Anfang an alles zugänglich zu machen müssen zwei der Monster und sämtliche alternativen Jäger außer dem Start-Quartett erst langwierig durch das Erfüllen diverser Voraussetzungen freigeschaltet werden – immerhin sind diese Voraussetzungen weitgehend so gewählt, dass sie indirekt zu einem Training der schwierigeren Charakter-Fähigkeiten führen. Als Motivationswerkzeug hat das Spiel so eine Mechanik aber eigentlich nicht nötig.
Ebenso unnötig sind auch die Versuche, der Welt von Evolve einen glaubwürdigen Hintergrund zu geben: Die Story um von Monstern überrannte Menschenkolonien auf der Welt Shear ist platt und spiegelt sich im Spiel selbst auch kaum wieder. Der Rescue-Modus, eine Kampagne aus 5 Missionen, soll zwar auch eine Geschichte erzählen, dient aber letztlich doch nur zum Abspulen verschiedener Spielmodi. Auch die Figuren bleiben blass: Schaffte es Left4Dead noch durch eine schier endlose Anzahl von Gesprächen zwischen den Figuren regelrechten Kultstatus zu erreichen wiederholen sich die Sprüche der Jäger in Evolve schon nach kurzer Zeit und fangen an, zu nerven.
Ansonsten ist außerdem natürlich auch abzusehen (bzw. sogar mehr oder weniger angekündigt), das weitere Monster/Charaktere/Karten wohl nur als kostenpflichtige DLCs herauskommen werden, was das Spiel auf lange Sicht auch zum Geldgrab machen könnte. Der Basisumfang des Spiels ist aber groß genug, um das bis auf Weiteres zu vergessen, und die bis jetzt verfügbaren (überteuerten) Kleinigkeiten aus dem Ingame-Store (vor allem Skins, die nur einen optischen Effekt haben) kann man ja erst einmal links liegen lassen.
Die Kritikpunkte am „Drumherum“ sind zwar schade, ändern aber nichts am perfekt austarierten Kern des Spiels, der auch auf Lange Sicht durch vielfältige Kombinationsmöglichkeiten strategische Tiefe bietet. Ob als monströser Einzelkämpfer mit den Jägern im Nacken oder als Teil eines eingespielten Teams, dessen Fähigkeiten sich perfekt ergänzen: Die Jagdsaison ist eröffnet!
Evolve ist erhältlich bei Steam für EUR 49,99, beim gut sortierten Internethändler z.T. auch günstiger.
http://evolvegame.com