David Cronenbergs Horrorklassiker DIE FLIEGE wird 30: Eine Retrospektive

Jeff Goldblum als Seth Brundle vor dem Experiment. (Quelle: © Twentieth Century Fox)
Jeff Goldblum als Seth Brundle vor dem Experiment. (Quelle: © Twentieth Century Fox)

Als Kind sah ich auf Kabel 1 die Vorschau zu einem Horrorfilm, den ich mich deshalb bis vor kurzem nie traute zu schauen, obwohl er mich von klein auf faszinierte: David Cronenbergs Die Fliege (1986).

Das Jahr 2016 feierte einige Jubiläen: Star Trek und Raumpatrouille Orion wurden 50, Stand by Me 30 und Terminator 2 feierte auch gerade sein 25-jähriges Bestehen. Was dabei völlig außen vor zu sein scheint, und zugegebenermaßen auch an mir vorbei ging, ist das 30-jährige Jubiläum von The Fly aka Die Fliege, dem Body Horror-Klassiker des kanadischen Regisseurs David Cronenberg. Warum sich der Film auch heute noch lohnt, verrate ich euch jetzt.

Worum geht es?

Seth Brundle (Jeff Goldblum) ist ein Wissenschaftler, der an der Erfindung der Teleportation arbeitet. Seine Maschine löst Materie an einem Ort auf und setzt sie an einem anderen Ort wieder zusammen. Auf einer Wissenschaftskonferenz lernt er die Journalistin Veronica Quaife (Geena Davis) kennen, die in der Erfindung eine große Story wittert. Während sie Brundles Arbeit dokumentiert, verlieben sie sich ineinander. Schließlich ist die Maschine bereit für einen Selbstversuch. Was könnte schon schief gehen? Nun, eine ganze Menge: Eine Stubenfliege hat sich mit Seth in die Maschine verirrt. Da Computer doof sind, kann die Maschine nichts mit zwei separaten Objekten anfangen und fusioniert kurzerhand beide genetischen Muster miteinander. Zunächst scheint Brundle unverändert zu sein. Doch was bald folgt, ist eine der ekelerregendsten  und emotional zermürbendsten Mutationen der Kinogeschichte.

Besonders an Die Fliege ist, dass es sich nicht um einen reinen Horrorfilm handelt. Der Film verbindet eine Vielzahl von Genres: Die Teleportationsmaschine erweckt den Eindruck, als befinde man sich in einer Art Science Fiction-Prequel zu Star Trek, wo das Beamen ein alltägliches Fortbewegungsmittel ist. Die Charakterdynamik zwischen Brundle, Veronica und Veronicas eifersüchtigem Ex-Freund Stathis Borans (John Getz) wirkt anfangs wie eine Beziehungskomödie und später wie ein Melodram. Das dies nicht völlig konfus wirkt, ist David Cronenbergs Regie und dem Drehbuch zuzuschreiben, an dem er ebenfalls beteiligt war. Ein weiteres Lob geht dabei an die Schauspieler, die allesamt den Sprung von Humor und Drama zu Ekel und Horror mit Bravour meistern.

Ein Horrorfilm mit Geduld

Was Die Fliege ebenfalls von einem generischen Horrorfilm unterscheidet, ist die Geduld, mit der Cronenberg seine Charaktere sich entfalten lässt. In dem 96-minütigen Film vergeht bis zu dem verhängnisvollen Selbstversuch über eine halbe Stunde, bis zu den wirklich ekeligen Szenen fast eine Stunde. Das könnte langweilig werden, wären die Charaktere nicht so sympathisch und interessant.

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Der Anfang des Films wirkt wie eine romantische Komödie. Veronica (Geena Davis) und Seth (Jeff Goldblum) verlieben sich ineinander.  (Quelle: © Twentieth Century Fox)

Jeff Goldblum spielt den Wissenschaftler Seth Brundle als Nerd, dessen Privatleben praktisch nicht existent ist. Brundle lebt nicht nur sprichwörtlich in seinem Labor, sondern hat sich wirklich zwischen Teleporter und Computer häuslich eingerichtet. Bei der Begegnung mit Veronica versucht Brundle selbstbewusst zu wirken und dem gängigen Männlichkeitsbild zu entsprechen, was von Veronica jedoch sofort als kläglicher Versuch entlarvt wird. Im Laufe des Films stellt sich jedoch heraus, dass Veronica gar nicht auf der Suche nach einem Macho ist, wie ihn bereits ihr Ex-Freund Stathis verkörpert. Brundles schüchterne, aber liebevolle Art lässt ihr Herz aufgehen. Als Brundle nach seinem Selbstversuch jedoch immer mehr dem konventionellen Männlichkeitsbild entspricht – er wird muskulöser, aggressiver und bekommt „Haare“, wo eigentlich keine sein sollten – wird Veronica skeptisch und vermutet, dass etwas schief gelaufen sein muss. Brundles komplette Identität macht eine 180 Grad-Wende vom introvertierten Nerd zum exzentrischen, triebgesteuerten Brutalo.

Die Verwandlung

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Vom introvertieren Nerd zum triebgesteuerten Brutalo.  Goldblum stellt das Männlichkeitsbild seiner Figur während der Mutation gekonnt auf den Kopf.  (Quelle: © Twentieth Century Fox)

Brundles Erkenntnis, dass etwas nicht mit ihm stimmt, zählt zu einer von vielen berühmten Szenen in Die Fliege. Brundle betrachtet sich selbst im Spiegel und bemerkt die Borsten, die überall auf seinem Körper wachsen. Als sich plötzlich ein Fingernagel löst und Eiter aus der Wunde spritzt, kommt nicht nur für ihn selbst, sondern auch für den Zuschauer als Schock. Es sind alltägliche Empfindlichkeiten, die Erinnerung, als man sich mal zu tief ins Nagelbett geschnitten oder sich den Finger eingeklemmt hat, mit der der Film spielt. Eigene Erfahrungen mit der Fragilität des eigenen Körpers werden weiter gesponnen und in ihrer extremsten Form gezeigt. Laut eigener Aussage wollte Regisseur Cronenberg den Krankheitsverlauf eines Menschen zeigen. Wie reagiert man auf die Veränderungen des Körpers? Wie verhält man sich im Angesicht seiner eigenen Vergänglichkeit und welche Konsequenzen hat das auf die Mitmenschen? Die Fliege thematisiert all dies in metaphorischer Form und konfrontiert den Zuschauer so mit seiner eigenen Vergänglichkeit.

Brundle verliert im Verlauf des Films Haare und Zähne, sowie diverse Körperteile auf äußerst schleimige Art. Sein Körper nimmt groteske Züge an und auch seine Psyche degeneriert immer mehr zu der eines Insekts. Goldblum liefert eine großartige schauspielerische Leistung ab: Unter all dem Make-up gelingt es ihm immer noch, seine Zerrissenheit zwischen Mensch und Tier glaubhaft herüberzubringen. Er spricht, als müsse er mit sich kämpfen, um einen klaren Gedanken artikulieren zu können, und zuckt und atmet hektisch, wie es ein Insekt tun würde. David Cronenberg versteht es, den Film nicht nur von Schockeffekt zu Schockeffekt voranzutreiben, sondern die menschliche Tragödie der Mutation in den Mittelpunkt zu stellen. Wir leiden mit Brundle und hoffen vergeblich, dass er sich irgendwie aus seiner misslichen Lage befreien kann. Dies macht jeden Schock- und Ekelmoment umso schlimmer, da er einem Charakter widerfährt, mit dem wir uns emotional verbunden fühlen. Veronica und ihr Ex-Freund Stathis werden unfreiwillig in den Horror hineingezogen, können jedoch weder Brundle helfen, noch selbst dem Schrecken entkommen.

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Der Horror auf seinem Höhepunkt. Die Fliege (1986) geizt am Ende nicht mit Schock- und Ekelmomenten. (Quelle: © Twentieth Century Fox)

Im Finale des Films – ich werde es nicht vorweggreifen – kommt die Mutation dann zu ihrem blutigen und schleimigen Höhepunkt. In manchen Momenten wirken die Make-up und Puppen-Effekte auch noch heute großartig, einige Momente sind dagegen schlechter gealtert, was dem Budget des Films, aber auch der Komplexität der Szene geschuldet ist. Trotz der oft etwas unbeholfenen Bewegungen des Fliegenmonsters muss man dem Effektkünstler Chris Wallas zugestehen, dass das finale Stadium der Fliegen-Mutation auch heute noch zu verstören weiß und daher nichts an ihrer Schockwirkung verloren hat. Betrachtet man den Film als Ganzes, ist es kaum vorstellbar, dass die erste halbe Stunde beinahe eine romantische Komödie mit dem schüchternen Wissenschaftler in der Hauptrolle war, der jedoch nun, am Ende des Films, als ekelerregender Fliegen-Mutant endet. Dass der Film den Zuschauer über große Teile der Handlung in Sicherheit wiegt und erst spät mit dem eigentlichen Horror beginnt, macht Brundles Leidensweg umso erschreckender. Er wird als normaler Mensch eingeführt, dem etwas schreckliches widerfährt. Wir als Zuschauer fiebern und leiden mit ihm mit und können Veronicas Schreien und Weinen nur zu gut nachvollziehen.

30 Jahre danach – Schlusswort

Lange habe ich mich nicht getraut, Die Fliege (1986) zu schauen. Normalerweise bin ich nicht der Typ für Horrorfilme und habe meine Probleme mit Blut und Verletzungen. Umso erstaunlicher ist es, dass ich ihn innerhalb eines Jahres mehrere Male geschaut habe. Die Fliege ist ein beeindruckender Film. Sicherlich ist er ein Produkt seiner Zeit. Die Kleidung der Charaktere, Geena Davis‘ und Jeff Goldblums Dauerwelle und der Ex-Freund Stathis als schmieriger Businessman schreien nur so nach den 80er Jahren. Gleichzeitig besticht Die Fliege jedoch durch sein Setdesign, die Kameraarbeit und Beleuchtung, das witzige, kluge und tragische Drehbuch, vielschichtige Charaktere, einen tollen Soundtrack von Herr der Ringe-Komponist Howard Shore und Oscar-prämierte Maskeneffekte von Chris Wallas. Der Film ist sicher nichts für Leute, die keinen Spaß an kreativen Verstümmelungen der Charaktere haben. Die Fliege tut weh, körperlich wie emotional. Wer jedoch ein Liebhaber handgemachter Monstereffekte und düsterer Einblicke in die menschliche Psyche ist, sollte sich den Film keinesfalls entgehen lassen. Die Fliege ist ein unterschätztes Filmjuwel, das auch 30 Jahre später noch zu schocken und zu verstören weiß.

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