Sprechen lernen mit Aliens: Arrival (2016)

Amy Adams spricht mit Aliens in Arrival. © 2016 PARAMOUNT PICTURES
Amy Adams spricht mit Aliens in Arrival. © 2016 PARAMOUNT PICTURES

Nach Enemy, Prisoners und Sicario ist der kanadische Regisseur Denis Villeneuve zu einer neuen Regie-Koryphäe aufgestiegen. Nun testet er mit Arrival seine Fertigkeiten im Science Fiction-Genre aus.

Außerirdische Raumschiffe landen auf der Erde. Doch statt unsere Städte dem Erdboden gleich zu machen oder die Menschheit auszurotten, machen sie — nichts. Die Linguistin Dr. Louise Banks wird vom Militär engagiert, um herauszufinden, was die Außerirdischen wollen und stößt auf das Problem, dass deren Sprache fundamental anders funktioniert als jede Form menschlicher Kommunikation.

Das Problem mit der Sprache

Wie kommuniziert man mit einer intelligenten Spezies, die sich vollkommen autonom von uns entwickelt hat? Im Film werden Vergleiche mit dem Erstkontakt der Europäer mit den Aborigines in Australien gezogen. Der Unterschied: Europäer und Aborigines haben die selben Urahnen, Menschen und Heptapods (so der Name, den die Aliens verliehen bekommen) nicht. Dementsprechend liegt der Fokus des Films auf dem Problem der Kommunikation. Was ist Sprache? Wie beeinflusst Sprache unser Denken? Ist Sprechen dasselbe wie Schreiben? Und welche Rolle spielt die Dimension der Zeit dabei? In klassischer Sci-Fi-Manier stellt Arrival diese Fragen und scheut nicht vor provokanten Thesen zurück.

An dieser Stelle ein kleiner Kommentar unseres Autors Kai Hilpisch zur Wissenschaft in Arrival. Kai ist selbst studierter Sprachwissenschaftler, und war ziemlich begeistert (Kommentar ist spoilerhaltig, daher geschützt):

Spoiler

Ich habe nach verlassen des Kinos bei Twitter gescherzt, dass der Film wohl eine Schwemme neuer Linguistik-Studierender in die Unis spülen könnte, die alle die Helden des Alien-Erstkontakts sein wollen. Das ist vielleicht übertrieben, aber es ist selten, dass ein Film so gut den spagat zwischen harter Wissenschaft und Spannung schafft. Zuletzt war das der durchaus vergleichbare Film Interstellar (2014).

Amy Adams‘ Figur verkörpert trotz aller Überbelastung eine besonnene Wissenschaftlerin, die methodisch und systematisch an die Lösung eines kommunikationswissenschaftlichen Problems herantritt und dabei den für meinen Geschmack etwas zu ignorant gezeichneten Militärvertretern Paroli bietet.

An zentraler Stelle in der Geschichte steht die sogenannte Sapir-Whorf Hypothese. Das ich diese Namen mal in einem Blockbuster wiedersehen würde, hätte ich mir im ersten Semester auch nicht gedacht. Die Hypothese besagt im Kern, dass unsere Gedanken — im Sinne der Art und Weise, in der wir Informationen verarbeiten und Ordnen — von unserer Muttersprache, bzw. der in deren Grammatik und Semantik verankerten Strukturen, beeinflusst wird. Aus diesem Grund gäbe es bei der Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen nicht nur Probleme, die auf rein „mechanisches“ Sprach(un-)verständnis zurückzuführen sind, sondern auch Probleme hinsichtlich grundsätzlicher Denkweisen, die z.B. schlicht nicht übersetzbar sein können.

Grundsätzlich gibt es dann eine starke und schwache Auslegung der Hypothese. Die schwache Auslegung besagt, dass die erlernte Muttersprache sicherlich Auswirkungen auf die Ordnung der eigenen Gedankenwelt hat, aber diese Probleme letztlich überwindbar sind. Die starke Auslegung hingegen sagt, dass die Lebenswirklichkeit der jeweiligen Sprecher durch ihre Muttersprachen grundsätzlich determiniert seien — selbst wenn man um den Einfluss (und die Limitierungen) der eigenen Sprache weiß, kann man sich dessen nicht entziehen. Streng genommen besagt die Hypothese damit auch, das Übersetzungen eigentlich gar nicht möglich sind, da durch die Übersetzung eine grundsätzliche Neuinterpretation des übersetzten Textes erfolgt.

Arrival wiederum bedient sich einer Art fiktiven super-starken Auslegung der Hypothese: Der enge Kontakt mit der Sprache der Heptapods führt im Verlauf des Films dazu, dass sich Louise‘ sichtweise auf die Welt verändert — soweit, dass sie letztlich übermenschliche Wahrnehmungsfähigkeiten erlangt, also die Wahrnehmungs-Wirklichkeit der Heptapods zu ihrer eigenen macht. Es gibt in der Tat Studien, die darauf hinweisen, dass das Erlernen einer Fremdsprache die eigenen Wahrnehmungs- und Denkprozesse beeinflussen kann, aber natürlich ist das die Stelle, an der Arrival ein komplexes Konzept sehr einfach uminterpretiert und für eine dramatische Wendung nutzt.

Nichtsdestotrotz: Yay, Linguisten im Kino!

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Dr. Louise Banks versucht, mit den Außerirdischen zu kommunizieren. © 2016 PARAMOUNT PICTURES

Die Dinger aus einer anderen Welt

Worin der Film neben seinen sprachphilosophischen Themen besticht, ist Denis Villeneuves Inszenierung. Die gigantischen Raumschiffe, die  an senkrecht stehende schwarze Kieselsteine erinnern, werden dem Zuschauer lange vorenthalten. Wenn die Protagonistin Louise die ersten Fernsehberichte schaut, weicht die Kamera nicht von ihrem Gesicht. Der Schock und die Verwirrung über das Ereignis ist wichtiger, als dem Zuschauer die Raumschiffe selbst über einen kleinen Bildschirm zu zeigen. Die von da an allgegenwärtigen Fernsehübertragungen, die Panik der Menschen und die Hilflosigkeit der Regierung, die Kontrolle zu behalten, erinnert sehr an die direkten Reaktionen am 11. September 2001, wo keine sicheren Informationen darüber bestanden, wer die Anschläge warum verübt hatte.

Die Unsicherheiten der Menschen spiegelt wider, welchen kulturellen Schock die Gewissheit hätte, nicht allein im Universum zu sein. Bedeutet die Ankunft Frieden? Bedeutet sie Krieg oder Sklaverei? Die Naturwissenschaft weiß schon lange, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist. Und doch dreht sich unser Weltbild stets um die Menschheit, um uns selbst. Dass nun Wesen aus den Tiefen des Weltraums kommen, die uns technisch deutlich überlegen sind und uns zeigen, dass wir nicht die Krone der Evolution sind, hätte einen tiefreichenden Einfluss auf unser Weltbild. Dies zeigt Arrival gekonnt, bevor der Zuschauer überhaupt die Raumschiffe zu sehen bekommt.

„Warum sind sie hier?“ — Das außerirdische Raumschiff.  © 2016 PARAMOUNT PICTURES

Als Louise schließlich vom Militär zu einem der Raumschiffe geflogen wird, bekommen wir als Zuschauer dass Schiff in seiner ganzen Pracht präsentiert — in einer der spektakulärsten Einstellungen des ganzen Kinojahres. In einer verlassenen Berglandschaft schwebt ein gigantischer schwarzer Kieselstein über dem Erdboden. Dabei kommt der morgentliche Nebel mysteriös aus den Bergen ins Tal gekrochen und erfasst das fremde Objekt. Jóhann Jóhannssons Soundtrack wird dabei ebenso unheimlich wie fremd und unterstützt das Mysterium des Raumschiffs perfekt. Über die Laufzeit des Films wird das Raumschiff in mehreren interessanten Einstellungen eingefangen, manche davon zitieren den Monolithen aus 2001: A Space Odyssey (1968), manche davon Independende Day (1996), doch keine erreicht den Sense of Wonder, das Gefühl der Erfurcht und Erhabenheit, wie diese erste Einstellung.

Story of Your Life

Arrival basiert auf der Kurzgeschichte Story of your Life des amerikanischen Science Fiction-Autors Ted Chiang. Während der Handlungsablauf sich sehr nah an der Vorlage orientiert, schaffen es die Schauspieler gekonnt, den Charakteren leben einzuhauchen. Jeremy Renner als Theoretischer Physiker Ian Donnelly und Forest Whitaker als Colonel Weber sind Nebenrollen, die die Protagonistin in ihrer Aufgabe unterstützen. Beide bekommen nicht allzu viel zu tun, was jedoch nicht tragisch ist, da es im wesentlichen die Geschichte von Louise Banks ist. Amy Adams schafft meisterhaft den Spagat zwischen Glücklichkeit, Verwirrung, Melancholie und Trauer, sodass es nicht verwundern würde, wenn sie im kommenden Jahr für einen Oscar als Beste Hauptdarstellerin nominiert würde.

Amy Adams und Jeremy Renner bringen die Charaktere Louise und Ian zum leben. © 2016 PARAMOUNT PICTURES

Die größte Ergänzung, die der Film zur Handlung der Kurzgeschichte hinzufügt, ist ein Subplot, der die globalen Konsequenzen des Erstkontakts mit Außerirdischen veranschaulicht. Dieser Sublot wirkt jedoch nicht überflüssig, sondern fügt sich beinahe nahtlos in die charaktergetriebenen Rest der Geschichte ein. Es wäre legitim zu kritisieren, dass die Globalisierung des Problems eine Anbiederung an die Klischees Hollywoods ist. Der Subplot gibt den Charakteren jedoch einerseits eine größere Fallhöhe, da ihr Scheitern fatale Konsequenzen für die Welt haben könnte, und zeichnet gleichzeitig ein realistisch anmutendes Bild einer paranoiden Post-9/11-Welt.

Als sich die globalen Konflikte zuspitzen, lastet das Schicksal der Welt auf Louise‘ Schultern. © 2016 PARAMOUNT PICTURES

Trotz dieser Ausweitung des Konflikts auf eine globale Ebene bleibt die Haupthandlung erfrischend klein und unspektakulär. Die Charaktere treffen auf die Außerirdischen, diskutieren über die Erfolge und Misserfolge des Tages und treffen anschließend erneut auf die Außerirdischen. Der Prozess der Verständigung gestaltet sich als langwierig, nervenaufreibend und völlig anders, als es die Charaktere erwarten. Im Endeffekt ist die Kommunikation nicht ein Mittel zum Zweck, sondern selbst der Schlüssel zum Ziel. Die Lösung von Problemen durch Kommunikation mag keine revolutionäre Erkenntnis sein, ist aber gerade in der heutigen Zeit eine wichtige Erinnerung: Die Welt wäre ein friedlicherer Ort, wenn alle Parteien miteinander reden würden.

Fazit

Als Adaption der Kurzgeschichte The Story of Your Life übernimmt Arrival den interessanten Science Fiction-Plot und die provokativen Ideen der Vorlage und erweitert diese durch tolle Schauspieler, teilweise atemberaubende Bilder und einen interessanten, wenn auch teilweise befremdlichen Soundtrack. Für manche Zuschauer könnte das Erzähltempo des Films etwas langsam sein, manche mögen aufgrund der zurückhaltenden Inszenierung enttäuscht sein, da sie mehr erwarteten. Doch für mich persönlich gehört Arrival zu den besten Filmen des Kinojahres 2016. Gerade das Finale des Films, welches über den gesamten Film verteilte Handlungsfäden aufgreift, gerät unerwartet emotional für einen Science Fiction-Blockbuster und unterstreicht damit, dass Arrival weniger ein großes Alien-Spektakel ist, sondern viel mehr eine menschliche Geschichte, welche durch die Linse der Science Fiction betrachtet wird. So, wie es sich nun mal für großartige Sci-Fi gehört.

Zum Schluss bleibt mir nur noch eins zu sagen: Ich bin gespannt auf die kommenden Oscar-Nominierungen!

Arrival läuft seit dem 24.11. in den deutschen Kinos.

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